Beim heutigen Frühstück sind wir auf ein spannendes Thema gestoßen: Wir diskutierten darüber, warum so viele Menschen zum Beispiel auf Facebook oder auch in persönlichen Beziehungen so wenig bereit sind, mit Kritik an ihrem Verhalten oder mit negativen Äußerungen umzugehen.

Zumindest ich erlebe es so, dass der Spielraum für die freie Meinungsäußerung und auch für ganz normale Diskussionen zwischen Menschen enger geworden ist, wenn er überhaupt noch vorhanden ist. Andere Meinungen werden nicht geduldet, wer nicht schönredet, der wird aus Gruppen ausgeschlossen, einfach aus der Freundesliste gelöscht und mit dem möchte man sowieso keinen Kontakt mehr haben. Ist das wirklich die beste Lösung, die wir als Menschen miteinander finden können? Oder sollten wir mehr Luft im Umgang miteinander haben? Die zentrale Frage lautet also: Wie kannst Du mit Kritik an Deinem Verhalten angemessen umgehen?

Du darfst böse Menschen aussortieren
Ich habe keinen Zweifel daran, dass es sehr wichtig ist, böse Menschen aus seinem Leben auszusortieren. Was ist meine Definition dieser „bösen Menschen“? Für mich sind das Menschen, die Dich körperlich, psychisch oder seelisch misshandeln, die Lügen über Dich verbreiten, die schlecht über Dich reden. Sortiere diese Menschen aus, denn sie tun Dir weh und es ist nicht gut für Dich, wenn Dir jemand weh tut.

Hier geht es um den normalen Meinungsaustausch
Aber in diesem Artikel geht es mir nicht um diese Missbrauchs-Verhältnisse, auch wenn die in unserer Gesellschaft viel weiter verbreitet sind, als einem lieb sein kann. Mir geht es hier um die normale Meinungsäußerung. Ich glaube, dass es für ein Zusammenleben ganz wichtig ist, dass wir lernen, Kritik an unserem Verhalten hinzunehmen und zumindest über eine solche Kritik nachzudenken. Wir dürfen also lernen, das Verhalten von der Person zu trennen. Ein Mensch, der mein Verhalten kritisiert, hat nicht automatisch und gleichzeitig mich als Mensch kritisiert. Und vielleicht darfst Du lernen, Dein eigenes Verhalten auch einmal in Frage zu stellen und auch von anderen in Frage stellen zu lassen, weil es einfach dazugehört.

Ich habe den Eindruck, dass genau dieser Unterschied bei vielen Auseinandersetzungen in Vergessenheit gerät. Natürlich ist die Versuchung groß, einen Freund von der Facebook-Liste der Freunde herunterzuwerfen, wenn er einen kritisiert hat. Du musst Dir sicher nicht alles gefallen lassen, was andere über Dich schreiben. Doch vielleicht darfst Du Dir mehr gefallen lassen, als Du bisher zulässt. Es ist eine feine Grenze zwischen gerechtfertigter Kritik und bloßem Niedermachen. Schau doch mal genau hin, vielleicht kann die gerechtfertigte Kritik Dir helfen, Dein Verhalten zu überdenken.

Muss es immer ein „like“ sein?
Wie gehst Du also damit um, wenn Du zum Beispiel in den sozialen Medien etwas veröffentlichst und jemand anders kritisiert Dich dafür, gibt Dir ausnahmsweise mal kein „Daumen hoch“ und kein „like“, sondern äußert vielleicht sogar eine andere Meinung zu dem von Dir gewählten Thema? Wirfst Du diesen Menschen dann aus Deiner Freundesliste? Oder überziehst Du ihn mit böser Kritik und achtest darauf, dass auch die anderen über ihn herziehen? Ich erlebe – und ich weiß natürlich nicht, wie es Dir geht – dass sich hier Fronten immer mehr verhärten, dass die Auseinandersetzungen selbst wegen lächerlicher Kleinigkeiten immer heftiger geführt werden. Es ist praktisch egal, was jemand auf Facebook und anderen Plattformen veröffentlicht. Doch das, was dann passiert, das finde ich spannend. Und zwar, um genau zu sein, was mit Dir passiert, wenn Du kritisiert worden bist für Deine Meinung, Deinen Post, Deinen Podcast oder Dein Foto.

Wie reagierst und Du und worauf genau?
Bist Du dann eingeschnappt? Ärgerlich? Reagierst Du mit Wut oder ziehst Du Dich zurück und veröffentlichst gar nichts mehr, damit Dich nur niemand mehr angreifen kann? Mindestens ebenso wichtig ist die Frage, auf welchen Teil der Kritik Du reagierst. Dafür darfst Du Dich sehr genau beobachten und sehr ehrlich zu Dir sein.

Denn es gibt zum einen das Thema, dass Du überhaupt kritisiert wirst, dass jemand eine negative Meinung über Dich hat oder über das, was Du veröffentlicht hast. Dabei steht also das Kritisiertwerden im Mittelpunkt Deiner emotionalen Reaktion. Zum anderen könnte es sein, und das ist meiner Meinung nach seltener der Fall, dass Du eben Deine Meinung hast und diese verstanden, angenommen oder gewürdigt sehen möchtest. Achte darauf, die emotionale Seite von dieser eher sachlichen Seite zu trennen, auch wenn das natürlich nicht immer leicht ist. Mir geht es nicht darum, dass Du nicht emotional reagieren solltest, denn schließlich sind wir Menschen. Und doch darfst Du lernen, eine Meinung zu vertreten, ohne Dich angegriffen zu fühlen.

Fühlst Du Dich in Deiner Ehre verletzt?
Schauen wir uns noch mal Teil eins an, den emotionalen Teil Deiner Reaktion: Vielleicht fühlst Du Dich in Deiner Ehre verletzt, weil jemand sich öffentlich negativ über Dich geäußert hat. Oder Du befürchtest, dass andere Menschen Dich auch nicht mehr mögen, wenn sie diesen kritischen Kommentar über Dich lesen. Vielleicht fühlst Du Dich auch nicht ernst genommen, wenn jemand Dich kritisiert. Du merkst schon, da können vielfältige Auslöser vorhanden sein.
Dazu habe ich eine These: Wenn Du dann den Kritiker zum Beispiel aus Deiner Freundesliste löscht, ist es höchstwahrscheinlich, dass es im Kern gar nicht um diesen Menschen ging. Er hat Dich mit seiner Kritik nur an etwas erinnert, was Du früher einmal in Deinem Leben erlebt hast und dann hat Dich sein Kritisieren daran erinnert. Ich empfehle Dir, Dir Deine eigenen Gefühle in diesem Fall sehr genau bewusst zu machen, damit Du herausfinden kannst, worauf Du wirklich reagierst und worum es wirklich geht. Bestrafst Du den anderen, weil er angeblich etwas gegen Dich hat?

Genau an dieser Stelle erlebe ich im Internet und auch in freundschaftlichen Beziehungen harsche Reaktionen, die völlig überzogen sind. Der Kontaktabbruch ist dabei noch fast die milde Form. Das Verhalten, das ich in diesem Umfeld immer wieder mal beobachte, ist eben nicht nur die Vermischung von Emotion und Sachebene, sondern ein völliges Überreagieren nach dem Motto: Wenn ich Dich nicht kontrollieren kann, dann sortiere ich Dich sofort und konsequent aus meinem Leben aus. Für immer! Nachgeben ist nicht möglich, der andere wird für jeden kleinen Fehler zur Rechenschaft gezogen. Ist das wirklich die Welt, in der Du leben möchtest? Ich nicht!
Falls Du zu solch einer übertriebenen und für den anderen sehr krassen Reaktion neigst, darfst Du Dich fragen, ob Du nicht doch langsam erwachsen werden und lernen möchtest, Deine Gefühle von Wut, Rache und Hass auf andere in den Griff zu bekommen. Oder Du gehst sogar endlich die Ängste an, die vermutlich hinter Deinen Racheaktionen liegen.

Wie kann man sich davor schützen?
Wenn Du übrigens feststellst, dass Du es mit einem Menschen zu tun hast, der so überreagiert, dann hast Du eine echte Aufgabe. Die größte Herausforderung ist, dass viele von uns bei der entsprechenden Ablehnung und den drastischen Maßnahmen eines solchen Menschen sich noch mehr Mühe geben, ihm zu gefallen. Daraus folgt natürlich logischerweise ein problematisches Feedback, denn je härter dieser Mensch mit einem Kritiker umgeht, desto netter werden typischerweise die verbleibenden Freunde mit ihm umgehen. Das liegt vermutlich an der Erziehung: Eltern machen den Kindern früh klar, dass diese sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten haben, damit sie die Liebe vollumfänglich bekommen, nach der sie sich so sehr sehnen.

Liebesentzug ist der Anfang der Manipulation
Achtung: Wenn Deine Eltern Dich mit Liebesentzug bestraft haben, dann darfst Du sehr genau hinschauen, wie Du Dich in Situationen verhältst, wenn Dir heute jemand mit Liebesentzug droht oder Du diesen bei anderen Menschen beobachtest, mit denen dieser Mensch umgeht. Machst Du dann auf liebes Kind und springst durch jeden Ring, der Dir hingehalten wird, um damit Deine Zuneigung unter Beweis zu stellen? So entstehen Coabhängigkeiten, der böse Verurteiler zieht immer mehr Menschen an, die ihn als Guru feiern, mit Geschenken überhäufen und anbeten. Nur wahre Freundschaft ist das nicht, mehr die Angst davor, nicht geliebt und konsequent verbannt zu werden.
Damit würde also ein Mensch, der Kritiker konsequent aus seinem Leben verbannt, typischerweise erleben, dass die anderen, mit denen er (noch) keinen Streit hat, besonders nett zu ihm sind und jedem Konflikt aus dem Weg gehen, ihn dauernd mit Lob überhäufen (auch im Internet). Denn wir Menschen verstehen mindestens unterbewusst relativ schnell, wie ein anderer funktioniert. Und wenn wir erkennen, dass jemand all die Menschen aussortiert, die ihm nicht nach dem Mund reden und nett zu ihm sind, ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, dass wir uns besonders viel Mühe mit diesem Menschen geben. Doch das ist genau der falsche Weg!

Entwickele eine neue Klarheit
Wenn Du in Deinem beruflichen oder privaten Umfeld herausfindest, dass Du es mit einem so extremen Menschen zu tun hast, dann ist es meiner Meinung nach besonders wichtig, dass Du diesen aus Deinem Leben aussortierst. Er wird ansonsten versuchen, Dich mit kleinen und größeren, subtilen und zum Teil auch sehr grobschlächtigen Manipulationsmethoden unter seine Kontrolle bringen. In einer Partnerschaft kann sich das zum Beispiel so äußern, dass jemand immer nur die Zeit mit der Partnerin oder dem Partner verbringen will und Kontakte zu Freunden und Familie versucht zu unterbinden. Denn genau diese anderen Menschen könnten ihm ja den Partner wegnehmen und das ist etwas, was diese Menschen befürchten. Deshalb schlagen sie ja auch bei der Kritik so bösartig zu(rück).

Es gibt natürlich auch noch einen anderen Effekt, den Du bei diesen Menschen beobachten kannst: Viele von ihnen sind dauerhaft Singles und bleiben auch gegebenenfalls zeitlebens alleine, haben keine oder nur wenige richtige Freunde. Sie können einfach nicht mit anderen Menschen zusammen sein, weil sie sie besitzen und vollkommen kontrollieren wollen. Das macht einsam, denn die anderen kommen irgendwann dahinter. Da helfen auch großzügige Geschenke nicht, die diese manipulativen Menschen den anderen gerne machen, um sie dann besser kontrollieren zu können. Sie geben nur etwas, um dafür etwas zurück zu bekommen. Und um die Einsamkeit zu kompensieren, konzentrieren sich diese Menschen dann zum Beispiel auf beruflichen Erfolg, sie sammeln viel Geld, Besitztümer, Titel oder Auszeichnungen, versuchen auf irgendeine Weise die mangelnde Liebe auszugleichen, zum Beispiel mit der Anerkennung, die andere ihnen für ihren Reichtum oder ihren Erfolg zollen.

Geh weg!
Wenn Du erkennst, dass Du es mit einem Menschen zu tun hast, der andere fertig macht und kritisiert oder sie eben konsequent nach nur kleinen Zwischenfällen aus seinem Leben verbannt, der nicht bereit ist sich zu verändern und sein problematisches Verhalten anzuschauen, dann kann ich Dir nur die Empfehlung geben, wegzugehen. Du wirst diesen Menschen nicht verändern können, weil er sich nicht verändern möchte. Das ist immer die Voraussetzung für die persönliche Veränderung. Ich weiß von den Berichten meiner Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass es zum Teil Jahre dauern kann, um sich aus den Fängen eines Menschen zu befreien. Doch geh diesen Weg unbedingt, denn der übergriffige Mensch wird keine Ruhe geben, bevor Du ihn endgültig verlässt oder er Dich vollkommen unter seine Kontrolle gebracht hat.

Zum guten Schluss oder
wenn Du es bei Dir selbst entdeckst …
Es kann es natürlich sein, dass Du diesen Artikel liest und bei Dir selbst diese Verhaltensweisen entdeckst, dass Du nicht oder nur sehr schwer in der Lage bist, mit der Kritik anderer Menschen umzugehen. Es ist eine Form von Ehrlichkeit, das bei Dir selbst zu entdecken. Frag Dich einfach, ob Du Kritiker mundtod machst, ob Du sie aus Deiner Facebook-Freundesliste streichst und ob Du Dich, wenn es private Freunde oder auch Familienmitglieder sind, einfach nicht mehr mit ihnen triffst, obwohl sie nur Dein Verhalten kritisiert haben? Ich weiß, diese Selbstschau erfordert eine Menge Ehrlichkeit Dir selbst gegenüber und die Erkenntnisse, die Du daraus gewinnen kannst, die müssen Dir nicht gefallen. Gibt es Dinge, die du tust, um andere fertigzumachen? Das alles sind Anzeichen dafür, dass Du ein Problem hast, nicht die anderen!

Ich bin der Meinung, dass auch in diesem Fall die Selbsterkenntnis ein guter Weg zur Besserung sein kann. Wenn Du erkennst, dass Du Dich zwar nach Liebe und Anerkennung sehnst, aber nicht wirklich daran glaubst, dass Dich irgendjemand wirklich jemals lieben wird und dass Du niemandem außerhalb Deiner Ursprungsfamilie wirklich vertraust, dann ist die Gefahr ausgesprochen groß, dass Du mit anderen Menschen, ihren Meinungen und gegebenenfalls ihrer Kritik an Dir nicht gut umgehen kannst. Und dann darfst eine Lösung finden für Dein Verhalten, Du darfst einen neuen Weg einschlagen, den Du nur gehen kannst, wenn Du bereit bist für Deine Veränderung.