„Aus Fehlern wird man klug.“, „Es gibt keinen Fehler, es gibt nur Feedback.“ – solche und ähnliche Sätze machen uns deutlich, dass wir ein ganzes Leben lang weiter lernen dürfen. Das widerspricht allerdings dem typischen Denken des Gehirns, das in dieser Hinsicht ganz andere Ziele verfolgt. Das Gehirn möchte die Dinge gerne beherrschen und das ist der Grund, warum manche Menschen der Kontrollsucht verfallen. Denn es gibt Sicherheit, wenn wir so tun, als würden die Dinge immer gleich bleiben und als würden wir zumindest in einem Lebensbereich, zum Beispiel in Deinem Job oder auch in einigen Bereichen Deines Privatlebens oder bei Deinem Hobby, genau wissen, was wir tun und als wären wir auf dem höchsten Stand des Könnens, den man erreichen kann. Warum ist diese Sicherheit nötig? Wenn Du mich kennst, dann kennst Du schon meine Antwort auf diese Frage: Weil die Menschen so viel Angst haben und weil sie glauben, dass sie diese Angst überwinden können, wenn sie an irgendeiner Stelle in ihrem Leben das Gefühl von Sicherheit erzeugen können.

Diese Sicherheit kommt eben auch aus der einen, besonderen Fähigkeit, bei der Du den Eindruck hast, dass Du Dich gut auskennst, dass Du sie beherrscht und dass Du sie aufgrund der vielen Erfahrungen, die Du vielleicht in den Jahren gesammelt hast, wirklich gut im Griff hast. Doch wenn es keine Verunsicherung mehr gibt, dann hast Du aufgehört zu lernen. Und wenn Du nicht mehr lernst, dann entwickelst Du Dich nicht mehr weiter, dann kannst Du nicht besser werden. Das Gegenteil von dieser Weiterentwicklung ist in meinem Modell von Welt nicht der Stillstand, es ist die Rückentwicklung. Manchmal allein schon deshalb, weil sich eben alle möglichen Themen auch weiter entwickeln, weil es neue Perspektiven gibt, neue Technologien, weil andere Menschen sich eben doch weiterentwickeln, neue Fragen stellen und damit zu neuen Antworten gelangen.

Ohne Verunsicherung gibt es kein Lernen
Wenn ich mich zum Beispiel an meine Zeit an der Universität zurück erinnere, dann fällt mir auf, dass ganz viele Professoren einen gewissen Standesdünkel hatten. Sie waren natürlich die Profis in ihrem Fachbereich, kannten sich mit ihrem Thema wirklich aus, hatten Dutzende oder vielleicht sogar hunderte von Büchern gelesen und einige von ihnen hatten sogar eigene Bücher und Fachartikel geschrieben. Das war der Hinweis darauf, dass sie besonders herausragende Experten in ihrem Bereich waren. Bei genauerem Hinsehen habe ich dann allerdings festgestellt, dass viele dieser angeblichen Superexperten und Fachleute einfach nur arrogant waren und sehr viel Wert darauf legten, dass sie von den Menschen in ihrer Umgebung gefeiert wurden für ihr Wissen, ihre Urkunden und Auszeichnungen, die ihnen von anderen Menschen verliehen worden waren. Inhaltlich hatten diese Professoren häufig nicht viel zu bieten, sie stellten sich selbst und das, was sie wussten, niemals mehr in Frage.

Und dann gab es eben noch andere Professoren und Fachleute, die ich in meinem Leben kennengelernt habe und die immer ganz besondere Menschen waren. Es waren die, die das, was sie wussten und konnten, immer wieder in Frage gestellt haben. Diese Menschen entwickelten auch neue Fragestellungen, beschäftigten sich auch mit anderen Wissensgebieten, hatten häufig auch ganz besondere Hobbys. Aus all diesen Beschäftigungen mit anderen Themen und mit der Bereitschaft, auf Kosten des eigenen Gefühls von Sicherheit sich selbst und das eigene Wissen in Frage zu stellen, konnte sich dann etwas Neues entwickeln. Wenn ich solche Menschen kennenlerne, dann kann ich sie heute sehr schnell erkennen. Sie erzählen mir nicht von dem, was sie erreicht haben und was sie sind und wie besonders sie sind und welche Auszeichnungen sie erreicht haben. Sie prahlen nicht mit ihrem Wohlstand, der Anerkennung durch andere oder mit irgendetwas anderem, was sich auf ihre Vergangenheit bezieht.

Stattdessen beziehen einen diese Menschen mit ihren aktuellen Fragestellungen in ihr Leben ein. Natürlich mag man, wenn man sich mit dem jeweiligen Fachgebiet noch nicht beschäftigt hat, nicht gleich folgen können. Doch diese Menschen haben oft auch die Fähigkeit, selbst komplexe Zusammenhänge so einfach darzustellen, dass man selbst als Laie in der Lage ist zu verstehen, worum es geht. Obwohl sie einem also in ihrem Fachgebiet zum Beispiel viele Jahre voraus sind, viele Probleme schon gelöst haben und damit auch sehr viel erreicht haben, sind sie doch immer offen dafür, dass eine neue Frage oder eben auch eine neue Lösung auch von jemanden kommen kann, der zum ersten Mal darüber nachdenkt.

Lässt Du Dich in Frage stellen?
Prüfe am besten jetzt gleich einmal nach, wie Du reagierst, wenn jemand Dich in Frage stellt, wenn jemand mit Deiner Lösung nicht glücklich ist. Das könnte ja zum Beispiel ein Kunde sein, der Dir Feedback gibt. Wir hatten gerade ein solches Beispiel in unserem Alltag, als uns ein neuer Dienstleister sein Angebot unterbreiten wollte und wir stellten Fragen zu diesem Angebot. Darauf reagierte dieser Dienstleister mit einer heftigen Kritik an unseren Fragen und machte sehr deutlich, dass er beleidigt war, weil wir uns überhaupt getraut hatten zu fragen. Das ist nur ein Beispiel von vielen.
Vielleicht ging es Dir zum Beispiel mit Deinen Eltern so, dass Du ihr Verhalten niemals in Frage stellen dürftest. Du musstest immer anerkennen, dass sie so sind wie sie eben sind und dass sie sich so verhalten wie sie sich eben verhalten. Kritik oder auch nur eine Fragestellung waren nicht erlaubt.

Deswegen ist es so wichtig, dass Du immer mal wieder bei Dir selbst nachschaust. Doch wie kannst Du erkennen, ob Du Dich ausreichend leicht verunsichern lässt, ohne unsicher zu werden? Ich habe beobachtet, dass viele Menschen mit Ärger oder Wut reagieren, wenn sie an diese Grenzen ihres Seins geführt werden. Wenn ein anderer einfach nur eine Frage stellt und Du zum Beispiel halluzinierst, dass er Dich persönlich angegriffen hätte oder Dich als Mensch nicht wertschätzt, dann könnte es sein, dass Du überheblich geworden bist oder einfach nur aggressiv reagierst, weil Du Dich unsicher fühlst. Das Thema hat dann nicht der andere Mensch, der Dir die Frage gestellt hat. Du hast das Thema! Was wäre, wenn Du dann einfach sachlich auf die Frage antwortest? Wenn Du keine Vorwürfe machst, nicht auf Deine Expertise hinweist und auch nicht darauf, dass der andere sich gefälligst zusammenreißen soll, weil zum Beispiel das Thema längst geklärt ist. Sondern wenn Du ganz ruhig, gelassen und professionell auf die Frage antwortest, die der andere gestellt hat.

Natürlich gibt es auch andere Fragen
Ja, Du hast recht, es gibt auch diese anderen Fragen, die nur deshalb gestellt werden, weil man jemanden nerven will. Denk doch einfach mal das kleine Kind, das ungefähr 4 Millionen Mal nacheinander „Warum…?“ fragt. Ich vermute, und da kann man sich natürlich niemals wirklich hundertprozentig sicher sein, aber ich vermute, dass dieses Kind eine andere Absicht hat. Vielleicht möchte es mehr Aufmerksamkeit, vielleicht fühlt es sich nicht berücksichtigt, die Gründe können vielfältig sein und sind eben auch von dem Kind und der Situation abhängig.

Doch so sehr dieses Beispiel stimmen mag, dass es dem Kind nicht um die Frage und auch nicht um Deine Antwort geht, so sehr kann dieses doch zum Beispiel in Deinem Businessalltag bei einem Kunden oder auch in Deiner privaten Liebesbeziehung mit Deiner Partnerin oder Deinem Partner anders sein. Vielleicht sagen diese anderen Menschen Dinge nicht, um Dich in Frage zu stellen, zu verunsichern oder Dein Selbstwertgefühl in tiefste Tiefen stürzen zu lassen. Vielleicht haben diese anderen Menschen einfach nur eine andere Idee und die möchten sie äußern können, ohne dass Du sie dafür fertig machst und verurteilst.

Bleib locker – so gut es eben gerade geht
Ich glaube, dass jeder von uns gerade in diesen Zeiten, die schon mal für Verunsicherung und Hilflosigkeit sorgen können, besonders sensibel im Umgang mit anderen Menschen sein darf. Das ist meine Anregung für Dich, auf die ich Dich mit diesem Artikel hinweisen möchte: Überprüfe im Alltag, wie Du im Umgang mit anderen Menschen, Kollegen, Mitarbeiter, der Partnerin oder dem Partner, Freunden, Kindern und Verwandten reagierst. Bist Du angespannt? Gehst Du sofort auf die Palme, weil Du Dich kritisiert fühlst auch bei kleinen Themen? Ich habe volles Verständnis dafür, wenn es so ist. Denn viele von uns sind eben gerade unter Druck, fühlen sich nicht verstanden, haben Herausforderungen im Businessumfeld oder eben auch privat, weil die Familien zum Beispiel viel enger und für viel längere Zeit zusammen sind als sonst.

Diese äußeren Umstände geben Dir allerdings nicht das Recht, auf anderen Menschen herumzuhacken, sie klein zu machen und abfällig zu behandeln. Im Gegenteil wäre es besser, wenn Du noch mehr darauf achtest, wie Du mit anderen kommuniziert, eben auch und gerade dann, wenn sie Dir eine Frage zu einem Thema gestellt haben, bei dem Du Dich besonders gut auskennst. Wenn wir alle lernen, liebevoller und freundlicher miteinander umzugehen, dann wird der ganze Druck aus solchen Situationen herausgenommen und es ist viel einfacher, auf diese Weise Konflikte zu vermeiden.