Das ist schon auffällig, dass viele junge Menschen in ganz alltäglichen Situationen eine gewisse oder auch starke Unsicherheit zeigen. In diesem Fall war es eine Familienfeier im größeren Rahmen, also etwas Wichtiges. Ich liebe es ja, bei solchen Veranstaltungen andere Menschen zu beobachten, einfach nur genau hinzuschauen und hinzufühlen und hinzuhören und damit möglichst genau mitzubekommen, wie die anderen Menschen mit der Situation umgehen. Für mich gehört das zu den schönsten Tätigkeiten, die ich mir vorstellen kann, ich bin dann ganz bei der Sache.
Da neben den Eltern eine ganze Reihe junger Menschen, überwiegend Jungs im pubertierenden Alter, dabei waren, gab es viel zu beobachten. Typische Verhaltensweisen im Umgang mit der ungewohnten Situation waren natürlich zu sehen, denn bei einigen sorgt die Verunsicherung dafür, dass sie sich als besonders stark und mutig zeigen und jede Unsicherheit übertünchen. Wer sich gut einfühlen kann, der spürt natürlich trotzdem, wie sich ein solcher Mensch wirklich fühlt. Andere junge Menschen werden dann zwanghaft, müssen die ganze Zeit über ihren Kopf durchsetzen, wieder andere reagieren superschüchtern und ziehen sich zurück – heute natürlich gerne, um dann am Rand der Veranstaltung mit dem Handy rumzuspielen. Aber das sind nur Übersprunghandlungen, für mich ergab sich aus dem beobachteten Verhalten eher eine andere Frage: Warum sind die überhaupt so unsicher?

Unbekannte Situationen setzen Menschen unter Druck
So weit, so trivial – könnte man sagen, denn die unbekannte Situation sorgte für die beobachteten Verhaltensweisen, die vermutlich auf Unsicherheit oder eben sogar Angst zurückzuführen sind. Okay, das ist nur eine Vermutung in Marcs kleiner Welt, und vielleicht können Du und ich uns darauf einigen, dass wir jetzt einfach mal davon ausgehen – und sei es nur für diesen Artikel –, dass das stimmig ist. Doch die Frage ist für mich nicht so sehr, warum wir Menschen in unbekannten Situationen gerne mit Angst und Unsicherheit reagieren. Das ist vielleicht ganz normal, weil wir gefallen wollen, weil wir uns keine Blöße geben wollen oder eben weil wir irgendein anderes Horroszenario in unserem Kopf durchspielen, was passieren könnte, wenn wir uns falsch verhalten.
Ich bin noch einen Schritt davor sozusagen, denn meine Frage ist, warum sich die jungen Menschen von der für mich nicht als so ungewöhnlich empfundenen Situation so beeindrucken ließen. Diese Frage nahm ich mit und so kam es zu einem schönen Gespräch, einem der Gespräche, die ich in meinem Leben so liebe, weil sie tiefgehend sind und neue Ideen und Erkenntnisse mit sich bringen. Jedenfalls kam darin eine neue These auf: In solchen gesellschaftlichen Themen sind vielleicht gerade junge Menschen deshalb überfordert, weil sie sich mit den Benimmregeln und den gesellschaftlichen Konventionen nicht auskennen. Das wäre dann sozusagen die Kehrseite der freien Erziehung, bei der die „modernen“ Eltern auf nichts mehr Wert legen, kein gemeinsames Essen, keine Benimmregeln für den Umgang miteinander und damit natürlich auch – schöner und erwünschter Nebeneffekt – viel weniger Konfliktpotenzial im Umgang miteinander.

Der Rahmen fehlt einfach
Okay, das war also in der guten alten Zeit natürlich besser und ist mit der in den 60ern gestarteten antiautoritären Erziehung dann gleich ganz über Bord geworfen worden. Neu war damals nicht nur, dass die Kinder die Eltern erstmals mit Vornamen ansprechen dürften, was für ein riesiger Fortschritt in der Kindererziehung, sondern auch und vor allem, dass es keine Regeln mehr gab, die befolgt werden mussten. Darf ich mich trauen zu sagen, dass das auch der eigenen Bequemlichkeit zugute kommt, denn wer den Kindern Regeln gibt, der muss schließlich auch in irgendeiner Weise überprüfen, ob und dass die eingehalten werden. Ist vielleicht nicht ganz so opportun diese Meinung in dieser Zeit, und hier ist ja Marcs kleine Welt und die ist nunmal so.

Sei an dieser Stelle bitte unbedingt ehrlich zu Dir selbst, auch und gerade in Bezug auf die Regeln, die Du Dir selbst setzt für Dich und Dein Leben. Regeln machen zwar etwas starr, unflexibel und geben einen Rahmen vor. Wenn sie jedoch befolgt werden müssen, ist das auch aufwendig, mühsam und es kostet Zeit und/oder Geld und erfordert eben auch ganz viel wache Aufmerksamkeit. Vielleicht vermeidest Du Regeln für Dich oder Deine Kinder, weil Du einfach zu träge bist dafür. Nur so eine Idee, schau halt ehrlich nach und zieh daraus Deine Schlüsse.

Jedenfalls erlebe ich eine Reihe von Eltern, die stolz darauf sind, dass sie wenig Regeln für ihre Kinder haben, und ich beobachte, dass diese Kinder nicht ordentlich mit Messer und Gabel essen können, dass sie die Ellenbogen auf den Tisch legen, laut schmatzen, mit dem Essen spielen, unhöflich gegenüber anderen Menschen sind, sich respektlos gegenüber Tieren verhalten, extrem egoistisch sind und so weiter. Ich könnte noch viele weitere Verhaltensweisen aufzählen, die mir auffallen. Im Kontext dieses Newsletters geht es eben um die andere Seite, nämlich um die Frage, warum dieselben Kinder dann in der einen oder anderen von gesellschaftlichen Normen geprägten Situation so unsicher reagieren.

Schaffen wir alle Normen einfach ab?
Die Lösung ist nun natürlich ganz einfach: Wir schaffen die gesellschaftlichen Regeln auch für Hochzeiten, Taufen, Konfirmationen, Familienfeste und alles weitere einfach ab, halten niemandem mehr die Tür auf, sagen nie wieder „Bitte“ und „Danke“ und leben einfach vor uns hin, lieblos und gut ist. Ich will das nicht! Ich mag ein bisschen liebevollen und rücksichtsvollen, respektvollen Umgang miteinander. Klar, ich habe mich daran gewöhnt, kenne es nicht anders und genieße es. Allerdings: Wenn es stimmt, dass wir alle nur eine Aufgabe auf der Erde haben, uns immer noch liebevoller, mitfühlender, verständnisvoller und fürsorglicher mit allen Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen verhalten sollen, dann wären die gesellschaftlichen Regeln ja auch ein Schritt in die richtige Richtung.

Regeln machen es viel einfacher
Das ultimative Plädoyer für diese Regeln ist allerdings, dass dadurch – und das war die erstaunliche Entdeckung für mich – mehr Sicherheit im Alltag entsteht, auch natürlich bei gesellschaftlichen Anlässen. Wenn ich jeder Frau den Vortritt an einer Tür lasse, dann habe ich keine Fragen, dann kann nichts schiefgehen, ich muss nicht einmal nachdenken. Es wird mit der Zeit einfach ein Automatismus, dass ich etwas stehenbleibe, die Tür offenhalte und warte, bis die Dame hindurchgegangen ist. Wenn ich geschäftlich oder privat zu einem Essen geladen bin, ist da keinerlei Unsicherheit in mir, weil ich die Regeln kenne. Mir kann an einem solchen Abend höchstwahrscheinlich nichts passieren, was ich nicht kenne, weil ich die Regeln für das passende Verhalten gelernt habe. So wird Leben auch im Alltag ganz leicht.

Aus der Beobachtung heraus tun mir Menschen, die diese minimalen Höflichkeitsregeln nicht kennen und nicht gelernt haben, einfach nur leid. Denn sie schauen sich dann hilflos um, müssen mühsam bei den anderen abschauen, wie es richtig geht. Und wenn sie erst mal ein wenig älter sind, dann trauen sich die meisten auch nicht mehr, andere Menschen danach zu fragen, wie man sich richtig verhält. Faulheit der Eltern, die sich unter dem Deckmantel der „freien Erziehung“ versteckt, macht dieses Thema vermutlich in den kommenden Jahren immer größer. Was dann gewinnt, das ist klar. Ohne Regeln zu leben ist bequemer und ich nehme wahr – Marcs kleine Welt –, dass immer die Verhaltensweisen gewinnen, die bequemer sind. Was mich ja zu der These verleitet, dass die höchsten beiden Werte der Menschen Freiheit und Faulheit sind.

Für Dich persönlich…
Also welche eigenen oder gesellschaftlichen oder zum Beispiel auch gesundheitlichen oder ärztlich vorgegebenen oder empfohlenen Regeln befolgst Du aus Faulheit nicht? Und in welchen gesellschaftlichen Kontexten bist Du unsicher, weil Du die Regeln nicht kennst? Dafür gibt es dann übrigens zwei ganz einfache Lösungen: Kauf Dir Benimmbücher und frag andere Menschen, die sich in diesem Bereich auskennen. Dann wirst Du Deine Unsicherheit in diesem Bereich schnell überwinden und selbstbewusster auftreten können, sobald es mal wieder einen passenden Anlass gibt.