Marcs Antwort:
Puh, das ist ein heftiges Thema und natürlich kann ich keine pauschale Antwort geben, weil ich die konkrete Situation dieses Paares nicht einschätzen kann. Insofern habe nur ein paar Ideen dazu, wie sich mit dem Thema umgehen lassen könnte. Ob die für Dich passen, darfst Du dann eben für Deine Situation selbst entscheiden.
Grundsätzlich geht es um Wut, zumindest nehme ich das an. Lass uns einfach mal genauer hinschauen, was Menschen wütend macht und wie sie dann mit der Wut umgehen: Meine grundlegende These ahnst Du vielleicht schon, wenn Du diesen Newsletter kennst. Hinter Wut ist meiner Meinung nach immer eine Angst. Sie ist sozusagen die Triebfeder, sie liefert die, in diesem Fall immense, Energie für die Wut und den Wutausbruch. Natürlich darfst Du diese These für Dich erst einmal überprüfen, am besten bei Dir selbst, wenn Du es mit einem cholerischen Menschen zu tun hast, der immer mal wieder wütend reagiert und diese Wut an Dir auslässt.
Denn der Wüterich wird vermutlich nicht in der Lage sein, hinter seine Wut zu schauen. Er empfindet die einfach und hat gelernt, dass er die einfach rauslässt. Sie ist dann aus ihm verschwunden und danach kann er dann die Scherben aufräumen, wenn das überhaupt nötig ist. Denn meist haben die wütenden Menschen ihr Umfeld so konditioniert, dass das Thema verschwiegen wird, dass es unter den Teppich gekehrt wird. Die Angst vor der Wut ist bei den Betroffenen oft so groß, dass sie, selbst nachdem der Wutanfall vorüber ist und sich alles wieder beruhigt hat, nicht darüber sprechen können.
Was ist die Absicht?
Lass uns jetzt die Absicht der Wut anschauen, um, herauszufinden, worum es wirklich geht. Das hat sich für mich bewährt und ich halte es für eine valide Methode, sich diese gewünschten Ergebnisse anzuschauen, um das Thema auch auf der Strukturebene besser zu verstehen. Das mache ich ganz einfach, indem ich mir anschaue, was typischerweise nach einem solchen Wutanfall passiert. Dieses Ergebnis, nicht das, was der Wüterich vorgibt, sondern das wirklich erreichte Ergebnis, das ist dabei der Leitfaden:
– Der Wüterich muss sich nicht mit sich selbst auseinandersetzen, er brüllt seine Wut raus, macht die anderen in der Regel damit mundtot und damit hat sich der Fall für ihn oder sie erledigt.
– Selbst wenn der andere auch wütend wird und rumbrüllt, hat der Wüterich sein Ziel erreicht. Er ist die aufgestaute Energie los und muss seine Angst nicht fühlen und kann mit der Wut vor seinen eigenen Gefühlen weiterhin davonlaufen.
– Der Wüterich kann sich mit seiner Wut in die bequeme Opferrolle zurückziehen, ein Paradoxon auf den ersten Blick. Denn wie kann es sein, dass der Lautere das Opfer ist? Typischerweise geben Menschen, die wütend sind, den anderen die Schuld an ihrer Wut. Prüf das mal nach. Vielleicht ist ein Trugschluss in diesen Menschen, dass der am meisten Opfer ist, der am lautesten brüllt.
– Ein gutes, ruhiges Gespräch wird durch das Brüllen meist unmöglich gemacht, zumindest für einige Stunden, bei manchen Menschen für Tage, bei wieder anderen für den Rest des Lebens. Was wäre also, wenn das das Ziel der Wut und des Brüllens ist: kein Gespräch zu führen? Hilft es dem Wütenden, wenn der andere geht? Will er lieber allein sein und möchte aber, dass der andere geht und damit er selbst nicht die Schuld trägt an der Trennung? Hier darfst Du sehr genau hinschauen, was das Motiv sein könnte.
– Wut zerstört die emotionale Basis jeder Beziehung, gerade wenn sie häufiger auftritt. Wie hilft das dem Wütenden, wenn er diese liebevolle Beziehung zu dem anderen Menschen zerstört? War es ihm oder ihr vielleicht vorher zu nah? Will er oder sie vermeiden, sich weiter zu öffnen, weil er oder sie die Nähe, die Liebe, die Offenheit, die Verletzbarkeit oder die Wahrheit fürchtet? Der Abstand, der von der anderen Person eingenommen wird, kommt dem Wüterich bestimmt ganz recht, das ist also auch kein Zufall.
– Und zuguterletzt: Vermeidet der wütende Mensch seine Veränderung. Er muss sich und sein Verhalten nicht hinterfragen, wenn er mit seinem Wutausbruch alle Menschen auf Abstand hält.
Das sind nur ein paar Ideen, die ich hier für Dich sammele, es mag noch ganz andere Motive geben. Ich gehe eben immer davon aus, dass es nicht um die Wut an sich geht. Und doch kann es natürlich sein, dass der andere Dampf ablassen muss und will und dass das Rumbrüllen ihm oder ihr genau dabei hilft, das zu erreichen.
Eine echte Herausforderung
„Die Wut hat nichts mit Dir zu tun.“ – dieser Satz liest und schreibt sich leichter, als dass er sich in der Realität umsetzen ließe. Ob er stimmt? Ich bin mir in vielen Fällen sehr sicher, dass die Emotionen eines anderen Menschen nichts mit mir zu tun haben. Natürlich magst Du der Trigger für den anderen gewesen sein. Passiv-aggressives Verhalten – siehe den Hauptartikel aus dem September – mag zum Beispiel der Auslöser der Wut sein. Doch unabhängig davon, ob es sich nur um eine Rückrunde handelt, wenn Du eine Änderung in Deinem Leben haben möchtest, darfst Du an irgendeiner Stelle aufmerksam hingucken. Ob das Verhalten dann „nur“ die Rache für ein anderes Verhalten (etwa von Dir) war, das spielt doch keine Rolle. Nimm die Wut an sich und das damit verbundene Verhalten und beginne einfach dort.
Was ist Dein Teil der Gleichung?
Fest steht, das wütende Brüllen ist in Deiner Umgebung und damit steht auch fest, dass es etwas mit Dir zu tun hat. Die Spiegelgesetzmethode lässt grüßen und zwar – wie so oft – in zweierlei Hinsicht:
1. An welchen Stellen bist Du wütend, auch wenn Du es vielleicht nicht so ausagierst wie der oder die andere? Wo unterdrückst Du vielleicht Wut? Wo wärest Du gerne wütender, offener, ehrlicher, würdest gerne Deinen Druck rauslassen? Schau genau hin, vor allem die Menschen, die angeblich keine Wut empfinden, sind meist innendrinnen super angespannt, aggressiv oder zumindest sehr unter Druck. Wem würdest Du also am liebsten Mal die Meinung sagen? Alles ist erlaubt, Du darfst auch wütend auf diesen miesen, doofen, angeblich so lieben Gott sein, der Dir das alles eingebrockt hat mit diesem besch…em Leben auf diesem megaätzenden, doofen blauen Planeten.
2. Wo behandelst Du Dich selbst nicht liebevoll, respektvoll, gehst über Deine Grenzen, verlangst Dir zuviel ab? Liebloses Verhalten im Außen kommt oft von lieblosem Verhaltem im Inneren. Damit zeigt Dir der andere Mensch dann vielleicht, dass Du Dich noch viel lieber behandeln, mit Dir liebevoller umgehen darfst. Sei auch da ganz ehrlich und schau genau hin, was sich bei diesem Gedanken und diesen Fragen in Dir so regt. Da kann auch ein großer Schlüssel liegen.
Leider ist es auch bei diesem Thema so, wie bei den anderen Themen auch: Du darfst die Energie in Dir lösen, damit sie verschwinden kann. Der Wüterich kann dann seine Wut in den Griff bekommen oder er verschwindet aus Deinem Leben, und brüllt andere Menschen an.
Schütze Dich, wenn Du es brauchst
Doch das ist kein Freibrief dafür, dass Du Dir alles gefallen lassen musst. Wenn der aggressive Mensch in Deiner Umgebung Dich zu mies behandelt, wenn er Deine Würde mit Füßen tritt, wenn er Dich fertigmacht, weil er sich selbst so klein fühlt und so überfordert, dann macht dieser Mensch mit seinem Verhalten etwas in Dir kapputt. Darüber darfst Du nicht hinwegsehen, sonst würdest Du Dir selbst nur wieder wehtun, das wäre dann einfach nur die dieselbe Schleife, in der Du Dir von anderen schaden lässt, weil Du nicht daran glaubst, dass Du ein respektvolles, liebevolles Verhalten verdient hast. Finde einen Weg aus dieser Spirale und es kann auch sein, dass Du den Abstand von dem anderen brauchst, um in Dir heilen zu können.
Klar ist auch, dass immer wieder Menschen im Außen sein werden, die Dich schlecht behandeln, wenn Du diese Energie noch in Dir trägst. Das hast Du vielleicht schon ausprobiert. Natürlich ist die einsame Insel immer auch eine mögliche Alternative, denn das einzige, was wirklich stört auf diesem Planeten, sind ja oft einfach nur die anderen Menschen, die nicht liebvoll, nicht nett, nicht fürsorglich, sondern einfach nur voll daneben sind. Mag trotzdem sein, dass der liebe Gott oder wer auch immer sich dabei etwas gedacht hat, als er sie mit Dir zusammen auf den Planeten geschickt hat.
Also darfst Du neue Wege finden, um mit Liebe zu Dir und dem anderen die Wut und die Angst zu überwinden. Wenn der andere das auch möchte, könnt ihr gemeinsam eine schönere Welt für Euch erschaffen. Daran müssen oder dürfen beide mitwirken.
Jetzt stelle ich mir vor, wie Du meinen Newsletter einem Menschen in Deiner Umgebung schickst, damit er diesen Artikel liest, und wie dieser Mensch auf Dich zukommt, sich bei Dir entschuldigt und Dir verspricht, dass er in Zukunft netter zu Dir sein möchte und dass er seine Wut in den Griff bekommen will. Das könnte der Auftakt zu einer friedlicheren, liebevollen Beziehung zwischen Euch werden. Ich fände es toll!
Alles Liebe!
Dein Marc
P.S.: Wenn Du zu jemandem wütend warst, dann wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, Dich zu entschuldigen. Am besten nicht mit dem Satz „Es tut mir leid.“, weil der keine echte Entschuldigung ist, sondern lieber mit einem „Ich möchte Dich um Entschuldigung bitten.“ oder „Ich möchte Dich um Verzeihung für mein wütendes, respektloses Verhalten bitten.“ Nur so als Bedienungsanleitung für Wüteriche…